Shiva beim Mantrailing

Eine Landpinscherin als Personensuchhund

Gleich zu Beginn ein Hinweis: Dieser Beitrag gibt die persönliche Meinung des Verfassers wieder. Das kann Irritationen auslösen bzw. Ihr bisheriges Verständnis von Mantrailing gehörig durcheinander wirbeln.

Mantrailing boomt. Und wie. Viele Hundeschulen bzw. freie Hundetrainer bieten es an. Doch wie kamen wir dazu?
Mein Landpinschermädel Shiva ist Ende April 2015 mit knapp 9 Wochen bei uns eingezogen. Es folgte das übliche Programm: Welpenkurs, Junghundekurs. Und weil wir das Glück hatten eine sehr gute Trainerin gefunden zu haben (was man ja vorher meist nicht weiß) mit einer guten Balance zwischen „Wattebausch-werfen“ und Kasernenton, also Grenzen setzen wenn es nötig ist, aber liebevoll und freundlich bleiben, machten wir einfach im Anschluss noch weitere Kurse. Und während all dieser Beschäftigungen fiel immer wieder auf, dass Shiva ein „Nasenhund“ ist. Und weil ich in der Zwischenzeit gelernt hatte, dass Nasenarbeit für den Hund einerseits selbstbelohnend aber auch eine gute Form der geistigen Auslastung ist, begann ich zu suchen und stieß auf Mantrailing. Ehrlich gestanden hatte ich bis dahin wenig bis gar keine Ahnung davon. Mehr durch glücklichen Zufall denn durch fundierte Recherche stieß ich dann auf GAK9, eine in Amerika entwickelte Philosophie der Personensuche, die auch in etlichen europäischen Ländern praktiziert wird. Und zum Glück auch in Wien. 2016 nahmen wir an einem Einführungsworkshop teil, wurden dabei mit einigen basics vertraut gemacht und schnell war klar, dass wir das absolut Richtige gefunden hatten. Der GAK9 Ausbildungsleiter in Wien, Christoph Rosenberger, hat jahrzehntelange Erfahrung in der Rettungshundearbeit im In- und Ausland. Also stürzten wir uns ins Vergnügen…

Und wie ich heute weiß, unterscheidet sich die Herangehensweise bzw. Trailphilosophie von GAK9 (GA ist die postalische Abkürzung für den US Bundesstaat Georgia, K9 die englische Bezeichnung für Arbeitshunde, ausgehend von „canide“) in fast allem fundamental von dem, was landläufig als Mantrailing bezeichnet wird.

Wie funktioniert das Trailen eigentlich? Warum sucht der Hund? Eigentlich wissen wir es nicht wirklich. Viele Erklärungsversuche sind oft von menschlichem Denken über das Denk- und Lernverhalten von Hunden geprägt oder aber Ergebnisse von Laborversuchen, die in der Realität so nie zu finden sind. Man kann nur versuchen aus der Beobachtung des Verhaltens eines Hundes am Trail Rückschlüsse zu ziehen und daraus zu lernen.

Tatsache ist, dass der Hund in der Lage ist den Individualgeruch eines Menschen – über dessen Zusammensetzung es unzählige Theorien gibt – zu erkennen und ihm zu folgen. Dazu wird am Beginn eines Trails dem Hund ein sogenannter „Geruchsträger“ bzw. „Geruchsartikel“ angeboten. Das kann ein Gegenstand, z.B. ein Stück Stoff sein, das die zu suchende Person angegriffen oder getragen hat. Aber auch der Kontakt an Türschnallen, Verkehrszeichen oder Parkbänken kann ausreichen. Wichtig dabei ist, dem Hund die Gelegenheit zu geben, diesen Geruchsartikel selbst zu entdecken, Lust auf diesen Geruch zu bekommen. Nix da mit Plastiktüte über die Nase oder ähnlichen Vorgangsweisen, die eher Widerwillen erzeugen.

Bei den ersten, sogenannten „fire trails“ wird beim Hund eine hohe Motivation erzeugt die zu suchende Person zu finden. Das „Wie“, nämlich dem Geruch dieser Person zu folgen um zur Belohnung zu kommen, diese Verknüpfung soll der Hund selbst entdecken. Wir, als Menschen, können dem Hund ja nicht beibringen einer Spur zu folgen, wir riechen ja nichts. Oder zu wenig. Das kann ein Hund definitiv besser.

Trailen ist im Grunde ja eine Abwandlung des Jagdverhaltens der Hunde, sie folgen einer Spur und suchen den Erfolg. Und weil Jagd für Wölfe bzw. Hunde nicht immer erfolgreich ist oder war, versuchen sie oft den einfachsten Weg und folgen dem frischesten Geruch. Und das bringt uns bereits zu einem ersten Punkt, der sehr oft sehr kontroversiell diskutiert wird: dem Alter des Trails. Oft hört und liest man von 24 oder 36 Stunden alten Spuren, ja von 3,4,5 Tagen oder gar Wochen. Geruch ist etwas sehr Fragiles. Witterung, Wind, Regen, Luftfeuchtigkeit, Geländeneigungen. Es gibt unzählige Faktoren, die die Verteilung des Geruches enorm beeinflussen können. Ganz zu schweigen davon, wenn der Trail in Gegenden verläuft, die stark kontaminiert sind. Kontaminationen können passieren durch andere Hunde, die in Wohngebieten auf ihren Runden geführt werden. Katzen, Enten, Wildtiere, andere Personen, Verkehr. Alles ist möglich. Eine läufige Hündin, die den Trail einige Zeit vorher gekreuzt hat, reicht aus, um einen Rüden völlig aus dem Konzept zu bringen. Und schlussendlich auch vom Untergrund. In grüner Umgebung, etwa einem Wald oder ein Hochgraswiese hält sich der Geruch natürlich deutlich länger als auf Asphalt.

4-6 Stunden sind nach bisherigen Erfahrungen für einen gut ausgebildeten Hund ein realistischer Zeitrahmen, innerhalb dessen ein Trail erfolgreich zu lösen ist. Und wenn nicht? Hunde müssen wegen eines abgebrochenen Trails sicher nicht zum Psychologen. Wie oft versuchen Hunde einem Vogel, einem Fasan oder einer Ente nachzulaufen. Haben sie schon je etwas erwischt? Meines Wissens sind die Vögel schneller. Hören Hunde deshalb auf Vögel nachzujagen? Nein. Und genauso so ist es beim Trailen. Hunde verlieren nicht die Motivation einen Menschen „zu jagen“ … oder besser zu finden, aber sie lernen auch aus ihren Fehlern.

Und dann ist da noch der sogenannte „scent pool“, der „Geruchs-See“ am Ende eines Trails. Wenn eine Person tatsächlich 24 oder mehr Stunden am Ende des Trails sitzt oder liegt, verbreitet sie in dieser Zeit ihren Geruch in einem enormen Ausmaß. Beobachtungen haben ergeben, dass der Geruchspool bis zu 200 m Durchmesser haben kann. Und genau das ist ein Problem für Hunde, die nicht gelernt haben, diesen Geruchspool entsprechend auszuarbeiten, weil eben niemand 24 oder mehr Stunden am Ende des Trails sitzt, sondern meist kurz vor Trainingsbeginn wieder von hinten eingebracht wird. Aber auch für Hunde, die durchaus an dieses Problem umsichtig herangeführt wurden, kann ein „scent pool“ ein Problem darstellen. Denn plötzlich geht für den Hund die Spur in ein großes Geruchsfeld über. Langsam, und durch hartnäckiges Üben lernen die Hunde, dass dieses große Geruchsfeld eine Geruchsquelle hat und arbeiten sich zu ihr vor.

Aber viele dieser Probleme – und noch unzählige mehr, die Aufzählung möglicher Probleme beim Trailen würde diesen Rahmen sprengen – können auf einem Trail eigentlich nur dann auftreten, wenn „double blind“ trainiert wird. Und zwar wirklich „double blind“. Dieser Begriff wird oft missbräuchlich oder inflationär verwendet. „Double blind“ heißt, dass niemand, und zwar wirklich niemand außer der zu suchenden Person weiß (kein Trainer, nicht der Hundeführer und auch nicht das

sogenannte „back-up“, also Personen, die das Suchteam begleiten, z.B. um auf den Verkehr zu achten), wo die „vermisste“ Person zu suchen ist. Hunde sind schlau und können uns unheimlich gut lesen, sie registrieren die kleinste Regung, die kleinste Änderung unserer Körpersprache. Und sie wissen sehr schnell, dass „die da hinten“ ja ohnehin wissen, wo die Person ist, wo es lang geht, und so wird der Hund lernen, dass er nicht die Nase benutzen, sondern nur seine Menschen entsprechend beobachten muss, um am Ende die Leberwurst zu bekommen. Sollte eine Person vermisst sein, wird sie uns auch nicht vorher mitteilen, wohin sie gegangen ist und welchen Weg sie genommen hat. Sonst wär sie ja nicht vermisst… Aber auch wenn es nicht um Einsatztraining geht, möchte ich wissen was mein Hund tatsächlich kann, indem der Hund durch seine Arbeit zur Person findet, nicht indem wir als Suchteam von den Trainern dorthin „geschoben“ werden, etwa durch Korrekturen bei falschen Entscheidungen des Hundes.

Shiva hat gelernt so zu arbeiten, z.B. auch durch die Verwendung einer 10m Leine, die es ihr ermöglicht durch die entsprechende Bewegungsfreiheit selbstständig zu arbeiten. Welpen werden (bei uns in Wien) ohne Leine „angetrailt“. Der Hund lernt Geruch „zu entdecken“, den Zusammenhang zwischen dem Geruchsträger und dem Ziel selbstständig zu erkennen, seine eigenen Entscheidungen zu treffen und für seinen Erfolg selbst zu arbeiten. Wir Menschen können nicht beurteilen, wo sich Geruch befindet, wie der Hund seinen Weg findet, wir können nur beobachten und versuchen, den Hund möglichst gut zu lesen und daraus zu lernen.

Nur wenn double blind trainiert wird, kann man beurteilen, was Hund und Hundeführer tatsächlich können. Beim Training zeichnen wir daher sowohl den Weg der Verstecksperson, als auch den Weg des Suchteams mit GPS auf, legen abschließend die aufgezeichneten Spuren übereinander und können so interpretieren was auf dem Trail passiert ist, wie genau der Hund war, wo Probleme entstanden sein könnten und vieles andere mehr. Auch Videoanalysen sind dabei hilfreich.

Es gibt aber auch Situationen, in denen wir als Hundeführer dem Hund auf einem Trail helfen können, etwa wenn wir erkennen, dass der Hund den Geruch des Trails verloren hat (dafür gibt es verschiedene Indizien, die uns der Hund durch seine Körpersprache vermittelt). Schließlich ist es Teamarbeit. Dann sind wir Menschen gefordert. Etwa indem wir uns daran erinnern, wo das passiert sein könnte. Im günstigsten Fall können wir den Hund so wieder auf den Trail zurück bringen.

Jetzt hab ich bisher fast ausschließlich von Problemen geschrieben. Da kann man sich schon fragen, warum trailt ihr eigentlich? Es soll doch eigentlich Spaß machen. Doch, das macht es. Und zwar ziemlich. Einerseits dem Hund, denn wie schon eingangs erwähnt, ist Nasenarbeit für den Hund selbstbelohnend, Hunde verwenden fast ständig und mit Hingabe ihre Nase. Und was gibt es Schöneres als einer Spur zu folgen, einen Menschen zu finden, der dann mit den besten aller Leckereien diese Leistung belohnt. Und für mich ist es total faszinierend einem Tier beim Lernen zusehen zu dürfen, zu erkennen, dass Hunde auf erfahrenem Wissen weiter aufbauen können und diese Erfahrung zu ihrem Gewinn einsetzen. All die gemeinsame Arbeit, das gemeinsame Bemühen zum Erfolg zu kommen, aber auch das gemeinsame Scheitern fördern die Bindung.

Aber zurück zu meiner Landpinscherin. Anfangs war ich tatsächlich oft nicht sicher, ob wir zwischen all diesen Hunden aus „Eliterassen“ bestehen werden. Heute weiß ich, dass gerade beim Mantrailen so manche Eigenschaften eines Öpis recht gut zur Geltung kommen: Arbeitsfreude, körperliche Robustheit, Beweglichkeit und eine Zielstrebigkeit (man kann auch sagen Sturheit) zum Erfolg zu kommen. Und eine gute Nase haben sie obendrein.

Heute sind wir Teil einer Rettungshundestaffel, trainieren meist 2 mal wöchentlich, ich bin mit Shiva europaweit auf Lehrgängen unterwegs, immer lernend und im Erfahrungsaustausch mit Hundeführern deren Hunde auch GAK9 ausgebildet sind. Und es hört nie auf…

Wolfgang Krammer mit Shiva